Beim Jugendkreuzweg können Jugendliche und Konfis sich nicht nur mit Fragen zu diesen Themen auseinandersetzen, sondern machen auch die Erfahrung, miteinander einen Weg zu gehen, sich gegenseitig zu stärken und Gemeinschaft als tröstend zu erleben.
Die Verlegung der Konfirmationstermine auf die Zeit nach Ostern hat es mit sich gebracht, dass die Passions- und Osterzeit ins Konfi-Jahr mit eingebunden werden kann. Das bietet die Möglichkeit, Ostern als ältestes Fest der Christenheit für die Jugendlichen erfahrbar zu machen. Ostern mit der vorausgegangenen Passionszeit mit den Geschehnissen an Gründonnerstag und Karfreitag bildet seit jeher das Zentrum christlicher Verkündigung und sollte deshalb auch in der Konfi-Arbeit eine Rolle spielen.







Ein Projekt in der Vergangenheit mit Potential für die Zukunft
Aus einem Gespräch nach einem ökumenischen Gottesdienst in Pfullingen im Jahr 2012 ist die Idee zu einem Kreuzweg für Jugendliche entstanden. Die damalige Pastoralreferentin in der Katholischen Kirchengemeinde St. Wolfgang und ich, Jugendpfarrerin in der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Pfullingen, waren uns einig: Ostern und die Passionszeit erleben wir als so wichtige und dichte Festzeit in unseren Gemeinden – aber die Jugendlichen, Konfis und Firmlinge, sind oft nicht dabei, weil sie über Ostern mit ihren Eltern wegfahren oder in den Ferien nicht in die Gottesdienste kommen. Das wollten wir ändern.
Ein Angebot speziell für Jugendliche
Wir hatten Lust, in einem ökumenischen Team einen Kreuzweg für Jugendliche vorzubereiten. Dazu wollten wir die örtlichen Gegebenheiten und personellen Ressourcen nutzen, die eine ökumenische Zusammenarbeit uns eröffnet haben. Unser Jugendkreuzweg sollte so ähnlich sein wie ein bereits bestehendes Angebot an Karfreitag, an dem jedes Jahr die evangelische Gesamtkirchengemeinde und der CVJM Pfullingen zu einem Kreuzweg auf den Georgenberg einladen. Dieser Kreuzweg am Karfreitag mit verschiedenen Stationen zum Reflektieren und Nacherleben der Passionsgeschichte, bei dem ich selbst über viele Jahre als Pfarrerin der Gesamtkirchengemeinde maßgeblich beteiligt war, existierte bereits und wurde von den Pfullingern an Karfreitag gut angenommen – aber es war eben ein Angebot, das sich hauptsächlich an Erwachsene richtete. So etwas Ähnliches wollten wir auch für Jugendliche anbieten, am besten für alle Konfis und Firmlinge gemeinsam. Allerdings mit dem Unterschied, dass wir nicht bei der Kreuzigungsstation aufhören wollten. Die Jugendlichen sollten erfahren, dass Golgatha nicht das Ende war – es sollte auf jeden Fall von „Golgatha“ noch einen gemeinsamen Weg nach „Emmaus“ geben, dort sollte auch gegessen und getrunken werden und es wurde der Ausblick auf die Auferstehung eröffnet.
Ein geeigneter Termin
Als Termin wählten wir den Freitag vor Karfreitag, den letzten Schultag vor den Osterferien, um möglichst vielen Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, am Kreuzweg teilzunehmen. In Jahren, in denen bis Mittwoch vor Ostern Schule war, veranstalteten wir den Kreuzweg eben am Mittwoch vor Ostern. Für die ca. 80 Konfis aus Pfullingen und die ca. 25 Firmlinge sollte der Termin verbindlich zum Konfi-Jahr bzw. zur Firmvorbereitung dazugehören. Wir haben auch nicht konfessionell gebundene Jugendliche über einen Werbeflyer dazu eingeladen. Insgesamt waren es ca. 150 Teilnehmende inklusive Mitarbeitende, die jährlich am Kreuzweg teilnahmen oder mitarbeiteten.
Der Zeitrahmen
Die Veranstaltung am Tag selbst erstreckte sich über ca. vier Stunden: Beginn war um 15:00 Uhr auf dem Marktplatz. Dort startete der Kreuzweg für die ganze Gruppe gemeinsam bis zur ersten Station (auf einem Grundstück unterhalb des Georgenbergs), auf dem eine große, weiß gedeckte Tafel mit Brot und Trauben wartete. Dann wurde die Gruppe geteilt, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig an einer Station Platz finden mussten. Auf dem Gipfel des Georgenberges, auf „Golgatha“, kamen beide Gruppen wieder zusammen und brachen dann gemeinsam nach „Emmaus“ auf. Das Ende der Veranstaltung war um ca. 19:00 Uhr.
Erlebnisorientiert und niederschwellig
Wir wollten Jugendlichen ermöglichen, den Weg Jesu ans Kreuz an verschiedenen Stationen nachzuvollziehen und mitzuerleben. Auf das Material, das jedes Jahr für den Ökumenischen Jugendkreuzweg vom BDKJ herausgegeben wird, haben wir nicht zurückgegriffen, weil die dort vorgeschlagenen Texte und Bilder unserer Meinung nach nicht für alle Jugendlichen leicht zugänglich sind und immer viel Anpassungsarbeit erfordern. Wir wollten stattdessen die örtlichen Gegebenheiten mit dem stadtnahen Georgenberg nutzen, um den Kreuzweg Jesu mit niederschwelligen Angeboten für Jugendliche erlebnisorientiert erfahrbar werden zu lassen.
Ein ökumenisches Leitungsteam und viele Ehrenamtliche
Außer den Konfis der evangelischen Gesamtkirchengemeinde waren auch die Firmgruppen der katholischen Kirchengemeinde dabei, ebenso die Konfis der evangelisch-methodistischen Gemeinde. Zum Vorbereitungskreis luden wir ehrenamtliche Mitarbeitende aus allen drei Konfessionen, von verschiedenen Freikirchen vor Ort sowie vom CVJM ein. Das Leitungsteam bestand aus drei hauptamtlichen Personen: Das waren die Pastoralreferentin der katholischen Kirchengemeinde, die Jugendreferentin des CVJM und ich als Jugendpfarrerin der evangelischen Gesamtkirchengemeinde. Der Vorbereitungskreis und auch das Leitungsteam haben sich immer wieder verändert. Wer neu dazu gekommen ist, hat neue Akzente gesetzt oder Texte verändert. Da aber die Grundidee gleichgeblieben ist, musste nicht jedes Jahr das Rad neu erfunden werden, sondern es konnte jeweils an die Erfahrungen der Vorjahre angeknüpft werden. Wir haben uns als Leitungsteam meistens im Anschluss an die Kreuzwegaktion getroffen, um Kritik, Anregungen und Erfahrungen für das kommende Jahr festzuhalten. Im darauffolgenden Jahr war darum meist ein Vorbereitungstreffen im größeren Kreis ausreichend, um einige Wochen vor dem Termin Absprachen zu treffen, konkrete Aufgaben zu verteilen und die Stationen den jeweiligen Teams zuzuordnen. Die einzelnen Teams bereiteten selbständig ihre Station vor. Koordination, Organisation, Vernetzung und Zusammenführung hatte ich übernommen.
Gewachsene Texte
Die Texte oder Spielszenen für die einzelnen Stationen haben jeweils die Menschen geschrieben oder weiterentwickelt, die für diese Station zuständig waren. Wir haben die Stationen als leitende Mitarbeitende der verschiedenen Gemeinden untereinander aufgeteilt. Weil es katholische, evangelische, evangelisch-methodistische und freikirchlich orientierte Menschen im Vorbereitungsteam gab, sind die Texte theologisch unterschiedlich ausdifferenziert. Zum Teil wurden sie auch von älteren Jugendlichen geschrieben, die den Kreuzweg mit vorbereitet haben. Da wir den Kreuzweg mit den Jugendlichen über einen Zeitraum von zehn Jahren veranstaltet haben, sind die Texte teilweise über Jahre hinweg „gewachsen“, wurden immer wieder überarbeitet oder auch in verschiedenen Varianten von den jeweils Verantwortlichen neu geschrieben. Leitend war für uns dabei: Wir wollten keine Glaubenssätze vermitteln (z.B. „Jesus ist für deine Sünden gestorben“), sondern Identifikationsmöglichkeiten anbieten und auch der „Unwissenheit“ vieler Jugendlicher über die Passionsgeschichte etwas entgegensetzen.
Ein geeigneter Ort
Der Georgenberg zwischen Reutlingen und Pfullingen bietet sich für einen Kreuzweg in besonderer Weise an. Der ganze Berg mit der baumlosen, felsigen Kuppe, von der aus man einen beeindruckenden Blick auf die umliegenden Orte und weit ins Land hat, steht unter Naturschutz. Dieser Ort wird auch von Menschen, die nicht religiös sind, als „Kraftort“ empfunden.
Es war bereits eine längere Tradition, dass alle zwei Jahre von einer privat organisierten freikirchlichen Gruppe in der Passionszeit auf dem Georgenberg ein Holzkreuz weithin sichtbar aufgestellt wurde. Es wurde zum Anziehungspunkt für Menschen aus dem ganzen Umkreis. Diese freikirchliche Gruppe begrüßte es sehr, dass neben dem Kreuzweg für Erwachsene am Karfreitag auch ein Angebot für Jugendliche auf dem Georgenberg stattfinden sollte. Die Genehmigung für das Aufstellen des Kreuzes und die Durchführung der Kreuzwege holten wir ab diesem Zeitpunkt immer gemeinsam bei der Stadtverwaltung ein, was das komplizierte Prozedere (der Georgenberg ist Naturschutzgebiet!) erleichterte.
Wir haben als Vorbereitungsgruppe verschiedene Wege auf den Berg ausprobiert, und wir haben bei unterschiedlichen Menschen, die ein Grundstück an den Hängen des Georgenbergs besitzen, die Erlaubnis bekommen, eine Station des Weges auf ihrem Grundstück zu platzieren. Auf diese Weise haben wir einen wunderschönen „Garten Gethsemane“ gefunden und das Feuer im Palast des Hohepriesters brannte in einer Feuerstelle auf einem Georgenberg-Gut. Pilatus hat seine Hände im Pfadfinder-Garten in Unschuld gewaschen und eine örtliche Schreinerei hat zwei Kreuzbalken zur Verfügung gestellt, die von den Jugendlichen über die schmalen Pfade auf den Georgenberg hinaufgetragen und dort oben zusammengezimmert wurden. Über die Jahre haben wir die Route immer wieder variiert, um die optimale Länge und den optimalen Zeit- und Kraftaufwand herauszufinden.
Stationen entlang der Passionsgeschichte
Die verschiedenen Stationen auf dem Weg beleuchteten jeweils ein Thema der Passionsgeschichte. Durch kurze Spielszenen, durch die Möglichkeit eigener Beteiligung und mit Impulsen zum Nachdenken wurden Angebote zur Identifikation gemacht. Dabei sollten anhand der Leidensgeschichte Jesu auch eigene Erfahrungen reflektiert werden können. Zum Schluss haben sich alle am Tisch in „Emmaus“ getroffen. Wir hatten die Eltern der Konfis und Firmlinge gebeten, uns dazu Fingerfood und Getränke zu einem Parkplatz auf halber Höhe des Berges zu bringen. Dort gab es noch eine Stärkung und in kalten Jahren heißen Teepunsch zum Aufwärmen, bevor alle wieder nach Hause gingen.
Zu den Ostergottesdiensten haben wir bei dieser Gelegenheit natürlich auch eingeladen. Dennoch war es uns wichtig, schon beim Kreuzweg nicht beim Kreuz, bei Tod und Leid stehen zu bleiben, sondern den Jugendlichen bereits einen Ausblick auf die Überwindung des Todes an Ostern zu geben.
Und in der Corona-Zeit?
Der Kreuzweg hat über zehn Jahre mit einer einzigen wetterbedingten Ausnahme im Freien auf dem Georgenberg stattgefunden. Auch während der Corona-Zeit wollten wir den Kreuzweg nicht einfach ersatzlos streichen. Wir haben die Genehmigung bekommen, an verschiedenen Stationen auf einem Rundweg um den Georgenberg Szenen aufzubauen, Texte für Erwachsene und Bilder und Geschichten für Kinder und Jugendliche aufzuhängen und entlang des Weges QR-Codes zu platzieren, mit denen Liedtexte und Audiodateien abgerufen werden konnten. Dieser individuell zu begehende Kreuzweg ist sehr gut angenommen worden und wir haben viele gute Rückmeldungen bekommen. Nur wurden leider zwischendurch einzelne Stationen mutwillig zerstört. Trotzdem hat sich die Mühe gelohnt, alles immer wieder aufzubauen.
Material für eigene Projekte weiterwachsen lassen
Inzwischen gibt es den Ökumenischen Jugendkreuzweg in Pfullingen nicht mehr. Stellenwechsel, Vakaturen und strukturelle Veränderungen in den Gemeinden haben dazu geführt, dass keine Kapazität mehr vorhanden war, den Jugendkreuzweg weiterhin am Laufen zu halten. Das Material des Kreuzwegs, das über zehn Jahre gewachsen ist und immer wieder verändert wurde, wollen wir aber gerne auch anderen Gruppen zur Verfügung stellen. Es lädt dazu ein, damit zu arbeiten, es weiterzuentwickeln, es an örtliche Gegebenheiten anzupassen, einzelne Stationen vor Ort von Jugendlichen vorbereiten oder umgestalten zu lassen, noch mehr Möglichkeiten der Partizipation und der Aneignung zu überlegen. Die Zentralität des Passions- und Ostergeschehens für den christlichen Glauben könnte ein Anstoß dafür sein, dass Konfis nicht unberührt von dieser Geschichte ihre Konfizeit erleben sollten. Vielleicht macht die Beschäftigung mit den Bildern und Texten des Pfullinger Jugendkreuzwegs Lust, im je eigenen Kontext vor Ort nach Kooperationen, Möglichkeiten, Angeboten und Anknüpfungspunkten zu suchen.