Die Konfi-Arbeit begleitet Jugendliche in einer Zeit, in der wichtige psychische und körperliche Entwicklungsaufgaben anstehen. Wer mit Konfirmand*innen arbeitet, bietet sich in dieser Zeit auch als Gegenüber an, das Orientierung ermöglicht, Ansprechpartner*in ist und vielleicht auch eine Modellfunktion als Erwachsene*r hat. In Zeiten der Adoleszenz als einer Zeit des allmählichen Übergangs hin zum erwachsenen Menschen können Symptome als Ausdruck dieses Umbruchs und der inneren Bewältigung desselben auftreten. Und es ist für die Erwachsenen oft keine leichte Aufgabe, diese Symptome einzuordnen – sie einerseits als vorübergehendes Schwellenphänomen unverkrampft zu begleiten und andererseits schwerwiegende Verläufe zu erkennen und in professionelle psychologische und medizinische Hände zu verweisen. Die Aufgabe, seelsorgerliche Begleiter*innen zu sein, kann im letzteren Fall weiterhin bestehen und eine wichtige Funktion erfüllen. Aber wie können wir uns als erwachsene Begleiter*innen hier in dieser Abwägung zwischen Unterstützen und dringendem Handlungsbedarf sinnvoll und hilfreich bewegen?
Essstörungen: ein kurzer Überblick
Essstörungen sind allgemein psychische Auffälligkeiten, bei denen das Essverhalten und das Verhältnis zum Essen stark gestört sind. Auch wenn es im Rahmen des Konfi-Unterrichts sicher nicht Auftrag ist, diagnostische Einordnungen vorzunehmen, so macht es doch Sinn, die wichtigsten symptomatischen Ausprägungen von Essstörungen grob zu kennen:
Anorexia nervosa
Die Betroffenen haben eine übertriebene Angst davor zuzunehmen und versuchen oft, ihr Gewicht durch extreme Diäten, übermäßige körperliche Betätigung oder andere Methoden zu kontrollieren. Sie haben ein verzerrtes Körperbild (sog. „Körperschemastörung“) und sehen sich selbst als übergewichtig, auch wenn sie objektiv gesehen untergewichtig sind. Diese Symptomatik tritt weit häufiger bei Mädchen als bei Jungen auf. Es gilt aber zu beachten, dass auch Jungen anorektisches Verhalten an den Tag legen können und dies hinter einem starken Gesundheitsbewusstsein und einer extremen Sportlichkeit verstecken (im Sinne einer sog. Orthorexie). Anorexia nervosa ist die psychische Erkrankung mit der höchsten Sterblichkeitsrate. Denn sie kann schwerwiegende gesundheitliche Probleme verursachen. Hierzu gehören Herzprobleme, Nährstoffmangel und andere Komplikationen, die mit der Mangelernährung einhergehen. Dabei kann es auch zu akuten Notfallsituationen kommen (siehe unten). Die betroffenen Jugendlichen legen oft eine hohe Diszipliniertheit bis hin zur Zwanghaftigkeit und insbesondere auch schulische Leistungsfähigkeit an den Tag. Sie sind oft sehr angepasst und unauffällig.
Bulimia nervosa
Jugendliche mit Bulimie haben wiederkehrende Essanfälle, bei denen sie übermäßige Mengen an Nahrung zu sich nehmen. Auf diese Essanfälle folgt dann kompensatorisches Verhalten, dazu gehören selbstinduziertes Erbrechen, übermäßige Bewegung oder auch der Missbrauch von Abführmitteln, um die übermäßige Energiezufuhr „ungeschehen zu machen“. Diese Verhaltensweisen sind stark gesundheitsschädigend und werden von den Jugendlichen verheimlicht, sie sind oft mit einer großen Scham verbunden. Ähnlich wie bei der Anorexie haben die Jugendlichen eine extreme Angst und Sorge hinsichtlich ihrer Körpergröße und -form.
Binge-Eating-Störung
Bei dieser Essstörung treten regelmäßig Essanfälle mit übermäßiger Nahrungszufuhr auf. Allerdings folgen auf diese keine kompensatorischen Verhaltensweisen wie bei der Bulimie. Die Betroffenen erleben während der Essanfälle ein extremes Gefühl des Kontrollverlustes und fühlen sich dabei schuldig und beschämt, sodass sie diese geheim zu halten versuchen.
Atypische Essstörungen
Neben den beschriebenen Symptomgruppen können viele Varianten von verändertem Essverhalten auftreten, die aber nicht das klare diagnostische Bild einer einzelnen Essstörung erfüllen. So kann zum Beispiel die Symptomatik einer Anorexie gegeben sein, ohne dass eine verzerrte Körperwahrnehmung auftritt, d. h. die Jugendlichen wissen sehr wohl, dass sie untergewichtig sind und nehmen dies auch im Spiegel wahr. Diese Phänomene werden als atypische Essstörungen bezeichnet und haben trotzdem Krankheitswert, da die betroffenen Personen ernsthafte Symptome und gesundheitsgefährdendes Essverhalten zeigen.
Auch wenn bei einem Konfirmanden oder einer Konfirmandin in Ihrer Gruppe nur Aspekte gestörten Essverhaltens oder körperlicher Veränderung erkennbar sind, wäre es hilfreich, genau hinzuschauen. Dann können Sie als Unterrichtende*r mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Verschlimmerung des Verlaufs evtl. rechtzeitig auslenken oder verhindern.
Wie sich unschwer erkennen lässt, haben die beschriebenen Symptome viel mit Schönheitsidealen und der Körperwahrnehmung zu tun. Dies ist zunächst immer vor dem Hintergrund verstehbar, dass die Pubertät und Adoleszenz eine Zeit starker körperlicher Veränderung ist – und der Körper gleichzeitig Teil der Ausformung einer eigenen, auch von Eltern und Familie unabhängigen Identität sein kann. Die „Gestaltung“ des eigenen Körpers – die sich auch durch ein Experimentieren mit dem eigenen Kleidungsstil, den Wunsch nach Piercings, Tattoos etc. ausdrückt – kann als Teil der Suche nach dem Eigenen verstanden werden. Dazu kann auch der Wunsch gehören, körperlich ein bestimmtes Schönheitsideal zu erfüllen. Das kann ein Übergangsphänomen sein, das nicht unbedingt pathologisch eingeordnet werden muss. Die Erwachsenen haben aber die Aufgabe, die Entwicklung mit wachem Auge zu begleiten und hinzuschauen, ob es zu gesundheitsschädlichen Veränderungen oder einer Chronifizierung des Geschehens kommt.
Zu beachten gilt auch, dass Essstörungen eine starke Beziehungskomponente haben. Essen ist das soziale Ereignis schlechthin. Wenn es dabei zu Veränderungen des Essverhaltens und einem damit einhergehenden Rückzug vom gemeinsamen Essen kommt, hat das oft Auswirkungen auf die Kommunikation insgesamt. Oft kommt es dabei zu Machtkämpfen und Verstrickungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, die sich nicht selten „aufschaukeln“. Auch hier ist immer wieder eine Gratwanderung notwendig: Wie viel Eigenes und wie viel Rückzug lassen wir bei dem oder der Jugendlichen zu und wo und in welchem Maß fordern wir Teilhabe an den Ritualen und gemeinsamen Routinen ein?
Aus psychologischer Perspektive gilt zu beachten: Hinter Essstörungen – in welcher Ausprägung auch immer – steht immer die Bewältigung einer psychischen Schwierigkeit. Essen und Nicht-Essen kann die Funktion der emotionalen Versorgung und auch Gefühlsregulation übernehmen. Zu beachten ist auch, dass gerade bei Anorexien die Jugendlichen emotional oft sehr unerreichbar werden, sich wie in einer abgeschotteten Blase verhalten und dass emotionale Argumente sie kaum mehr ansprechen. Dies hat ab einem gewissen Grad damit zu tun, dass der Körper sich im Notfallmodus bewegt und Gefühle deshalb nachrangige Bedeutung haben. Auch Kontrollerleben ist ein Thema, das oft mit Essstörungen im Zusammenhang steht. Einerseits wird bei den Essattacken ein Kontrollverlust erlebt, andererseits geht das Hungern mit starkem Kontrollerleben einher – hintergründig wird damit oft psychisch die Frage nach den eigenen Kontroll-, Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten bearbeitet. Paradoxerweise kommt es bei Essstörungen oft im familiären Kontext aus berechtigter Sorge zur Über-Kontrolle von Erwachsenenseite. Eltern reden auf ihre Kinder ein, mehr zu essen oder weniger zu essen und versuchen, das Essverhalten der Jugendlichen massiv zu beeinflussen und zu steuern. Oft sind die Verstrickungsdynamiken und Machtkämpfe bei gleichzeitig zunehmender Hilflosigkeit irgendwann so groß, dass nur das Hinzuziehen weiterer professioneller Helfer*innen die Muster entlasten kann (siehe unten).
Insgesamt können Essstörungen im Jugendalter auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sein, darunter genetische, biologische, psychologische, soziale sowie Umweltfaktoren. Druck von Gleichaltrigen spielt oft eine wichtige Rolle. Weiterhin können die Vermittlung von Bildern perfekter Körper und unrealistischer Schönheitsideale durch Netzwerke und soziale Medien, ein ausgeprägter Perfektionismus und innerfamiliäre Probleme wichtige Auslöser sein.
Essstörungen können schwerwiegende körperliche und psychische Auswirkungen haben (z. B. Herzprobleme, Nährstoffmangel, soziale Isolation, Depression und Angst). Sie können lebensbedrohlich sein und erfordern eine frühzeitige Intervention und Behandlung.
Möglichkeiten der Konfi-Arbeit als Begleitung von jugendlicher Entwicklung
Leitenden von Konfi-Angeboten kann eine besondere Rolle zukommen – es geht darum, sich die Möglichkeiten und Grenzen dieser Rolle bewusst zu machen und sie immer wieder auszuloten. Die besondere Möglichkeit dieser Rolle besteht darin, sich als Begleiter*in zur Verfügung zu stellen. Dies geht über das gewohnte Beziehungsangebot in Schule und Familie hinaus und kann so auch erlauben, aus den eingefahrenen Mustern hinauszutreten. Konfi-Gruppen bergen für die Jugendlichen die Möglichkeit, sich in einer neuen Peergroup selbst zu erfahren. Denn wie wir wissen, geht es in dieser Entwicklungsphase darum, das Eigene zu entdecken und für sich zu entwickeln – unter der wachen und zusprechenden Begleitung von Erwachsenen, die auch die dabei auftretenden möglichen Störungen in der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe im Blick behalten und den Jugendlichen liebevoll zur Seite stehen. Helm Stierlin, der bekannte Familientherapeut, hat den Begriff der „bezogenen Individuation“ geprägt – Jugendliche sollen das Eigene entdecken, sich individuieren und sich gleichzeitig in sicherer Bezogenheit zu anderen wissen. Gerade wenn es in dieser Zeit einige altersbedingte Reibungspunkte mit den Eltern geben mag, können Leitende von Konfi-Angeboten diese Bezogenheit weiter stärken.
Konfi-Gruppen als Orte von Angenommensein, Zuspruch und Segen
Die religiöse Dimension des KU kann es Jugendlichen ermöglichen, sich in der Bezogenheit des Glaubens und Vertrauens zu bewegen. Sie machen die Erfahrung, dass die Leitenden ihnen wohlgesonnen sind und ihnen Segen und Mut zur Entwicklung zusprechen. Das beinhaltet in der Haltung der Leitenden die Segensbotschaft: „Du bist angenommen, du bist in Ordnung – so wie du bist, egal wie du aussiehst, egal welches Körpergefühl du derzeit hast, egal ob du dich magst oder nicht, du bist gewollt und geliebt.“ Es ist wichtig, hier auch immer wieder die eigene Haltung zu überprüfen und sich zu fragen, inwieweit die Art, wie Sie die Gruppe leiten, Bewertung oder Abwertung sowie Konkurrenzverhalten oder Ausgrenzung begünstigt. Sie als Leitende halten den Rahmen und prägen die Kultur in der Gruppe. Wird Ausgrenzung – sofern sie auftritt – in der Gruppe zum Thema gemacht? Kann sich jede*r in der Gruppe mitgenommen und angenommen fühlen? Wie stark spielen Äußerlichkeiten eine Rolle und wie gehe ich als Leitungsperson damit um? Welche Rollen weise ich den Jugendlichen zu – und gibt es die Möglichkeit, stilleren und auch eher übersehenen Jugendlichen eine verantwortungsvolle Aufgabe zu geben und durch dieses Zutrauen ihre Selbstwirksamkeit zu stärken? Und wie kann ich den Jugendlichen signalisieren, dass ich für sie ansprechbar bin, auch in vertraulichen Fragen und in Fragen, die vielleicht mit Schuld und Scham verbunden sind? Ziel ist es also, insgesamt eine Umgebung zu schaffen, in der sich die Jugendlichen sicher fühlen, Probleme anzusprechen und Hilfe zu suchen.
Essen als Ritual der Gemeinschaft normalisieren und erfahrbar machen
Leitende von Konfi-Gruppen sind immer wieder in Sorge, ob sie im Hinblick auf Jugendliche mit Essstörungen in der Gruppe beim gemeinsamen Essen etwas anders machen oder beachten sollten. Es geht aber nicht darum, etwas anders zu machen, sondern Essen als Ritual der Gemeinschaft unbefangen zu leben und dazu einzuladen. Da diese Essensrituale außerhalb des familiären Kontextes stattfinden, können sie zunächst einmal vielleicht entspannter angenommen werden. Wichtig wäre, das Essverhalten der Jugendlichen in der Gruppe nicht öffentlich zu kommentieren oder die Jugendlichen zum Essen zu drängen. Das Essen in der Konfi-Gruppe kann vielmehr eine Einladung sein und die Erfahrung ermöglichen, dass Essen auch ohne Druck und Kommentierung von Erwachsenenseite stattfinden kann. Und es ist wichtig, an den Essensritualen festzuhalten und alle Jugendlichen im Sinne einer sozialen Erwartung in die Vorbereitung etc. mit einzubeziehen – dabei sollte gleichzeitig die Stigmatisierung des Essverhaltens Einzelner vermieden werden.
Frühzeitige Erkennung und Sensibilisierung
Bleiben Sie wach und behalten Sie die Jugendlichen im Blick. Achten Sie auf Anzeichen wie plötzliche Gewichtsveränderungen, übermäßiges Interesse an Essen oder plötzliche Veränderungen im Essverhalten. Sollten Sie beobachten, dass während eines längeren Zeitraums, in dem Sie für die Jugendlichen verantwortlich sind (z. B. auf einer Konfi-Freizeit), ein*e Jugendliche*r sehr wenig isst, wäre das im Zweierkontakt unbefangen und offen fragend anzusprechen, ohne gleich eine Essstörung zu unterstellen. Beschreiben Sie Ihre Beobachtung („Mir fällt auf, dass du wenig isst“), Ihre Gefühle („Das macht mich etwas ratlos und besorgt“), Ihr Bedürfnis aus Ihrer Rolle heraus („Meine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass du gut versorgt bist und deine Gesundheit und Kraft nicht in Gefahr bringst“) und Ihren Wunsch oder Ihre Bitte oder Erwartung („Kannst du mir helfen, das besser zu verstehen? Was sind denn die Gründe dafür? Kann ich dich in irgendeiner Weise unterstützen? Ich bin für dich da. Und gleichzeitig habe ich Verantwortung für dich, deshalb muss ich dich darauf ansprechen.“)
Damit können Sie dem/der Jugendlichen signalisieren, dass Sie ihn/sie wahrnehmen und aufmerksam sind, ohne dabei (zunächst) Druck aufzubauen, sondern das Angebot zum Gespräch zu machen. Aus der Reaktion des/der Jugendlichen können Sie an dieser Stelle schon einmal ablesen, ob es sich um ein schwieriges oder beschämendes Thema handelt. Das kann Ihnen erste Hinweise geben, die es weiter zu beobachten gilt, um bei Bedarf dann ggf. ins Handeln zu kommen (siehe unten).
Förderung eines gesunden Körperbilds und Selbstwertgefühls
Bedenken Sie, dass die Jugendlichen Sie genau wahrnehmen und beobachten und Sie unter Umständen auch zum „Role Model“ werden. Jugendliche beobachten uns in der Adoleszenz genau und arbeiten sich an uns ab, greifen sich das heraus, was ihnen zur Orientierung nützlich ist; das geschieht weitgehend unbewusst. Das kann die Beobachtung beinhalten, wie selbstbewusst Sie selbst mit Ihrem eigenen Körper umgehen. Und auch Ihre Worte und Handlungen können die Selbstwahrnehmung bei den Jugendlichen beeinflussen. Ermutigen Sie zu einem positiven Körperbild, indem Sie wertfrei vermitteln, dass die menschliche Vielfalt auch die Unterschiedlichkeit der Körperformen beinhaltet. Stärken Sie das Selbstwertgefühl, indem Sie Charaktereigenschaften und Leistungen über das Aussehen stellen. Jugendliche werden die Konfi-Gruppe auch als Resonanzraum für sich nutzen – die Gruppe selbst, aber auch Sie. Geben Sie den Jugendlichen positive Rückmeldung, wenn Ihnen eine Stärke auffällt oder Sie ein Verhalten bemerkenswert finden – allerdings natürlich nur, wenn Sie es tatsächlich so meinen.
Grenzen der Konfi-Arbeit: Wann besteht welcher Handlungsbedarf? An wen kann man sich wenden?
Auch wenn Theolog*innen und Diakon*innen aus Berufung heraus handeln, sollten sie sich die Grenzen dessen, was sie verantwortlich tragen können, immer wieder bewusst machen – um auch rechtzeitig zu entscheiden, wann weitergehender Handlungsbedarf besteht. Wir müssen nicht alles tragen und sind unter Umständen auch nicht immer die richtige Person für alle Anliegen und Probleme. Wenn Sie in starke Sorge oder Beunruhigung geraten und vielleicht auch merken, dass Sie immer wieder ängstlich an Jugendliche aus Ihrer Gruppe denken müssen, die Ihnen hinsichtlich ihres Essverhaltens oder damit einhergehender Körperveränderungen aufgefallen sind, ist vermutlich eine Grenze des Tragbaren erreicht. Unter Umständen nicht nur für Sie, sondern auch für die Gruppe insgesamt, die Sie ebenso halten und strukturieren müssen und für die Sie ebenfalls Verantwortung haben. Zu Ihrer Rolle gehört es eben auch, dann Prozesse anzustoßen, die über die Konfi-Arbeit hinausgehen und von anderen Fachkräften umgesetzt werden müssen. Wenn Ihnen gerade bei untergewichtigen Konfirmand*innen auffällt, dass sie immer weiter abnehmen, schwach und unkonzentriert wirken und emotional immer weniger erreichbar sind, ist sogar dringender Handlungsbedarf gegeben, denn dann bewegen sich diese Jugendlichen im gesundheitlichen Hochrisikobereich. Vorab gilt: Wenn untergewichtige Jugendliche im Konfi-Unterricht in einen Schwächezustand geraten, ihnen schwindlig ist, sie Kreislaufbeschwerden o. Ä. haben, rufen Sie den Notarzt und informieren Sie die Eltern. Abgesehen von dieser akuten Notfallsituation gelten folgende Empfehlungen:
Im Kontakt mit den Jugendlichen bleiben, Vertrauen und Transparenz erhalten
Für Jugendliche in der Adoleszenz ist es – aus berechtigtem Grund – ein rotes Tuch, wenn über sie hinweg entschieden wird und sie nicht ernst genommen werden. Sollte dies von den Jugendlichen so erlebt werden, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu noch mehr Widerstand und Rückzug führen. Wenn kein akuter medizinischer Notfall gegeben ist, sollte es das Ziel sein, zu jedem Zeitpunkt mit dem/der Jugendlichen in Kontakt zu bleiben, ihm/ihr Verschwiegenheit zuzusichern und sich auch daran zu halten – und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass Sie ab einem bestimmten Punkt handeln müssen, diesbezüglich aber transparent sein werden. Sichern Sie dem/der Jugendlichen zu, dass Sie ihm/ihr Bescheid geben, wenn Sie die Eltern hinzuziehen müssen und warum. So kann vermieden werden, dass der/die Jugendliche einen Kontroll- und Vertrauensverlust erleben muss. Dies soll Sie aber nicht daran hindern, aus Ihrer Verantwortung heraus die Eltern hinzuzuziehen und den/die Jugendliche*n vorab darüber zu informieren. Auch macht es Sinn, mit dem/der Jugendlichen zu besprechen, was Sie den Eltern mitteilen werden und unter Umständen auch darauf einzugehen, wenn er/sie nicht möchte, dass bestimmte Dinge, die er/sie Ihnen anvertraut hat, an die Eltern weitergegeben werden. Sie können ihn oder sie dann unter Umständen ermutigen, dies – falls notwendig – den Eltern selbst zu sagen. Was auch immer an weiteren Schritten, die außerhalb Ihrer Zuständigkeit liegen, notwendig sein wird, so können Sie dem/der Jugendlichen zusichern, dass Sie als Seelsorger*in zur Verfügung stehen und ansprechbar sind.
Zusammenarbeit mit Eltern und Erziehungsberechtigten
Wenn die Beobachtungen sich verdichten und die Sorgen zunehmen, ist es erforderlich, die Eltern zu kontaktieren und über Ihre Beobachtungen und Sorgen zu informieren. Wie gesagt, sollte dies im besten Fall in transparenter Art und Weise gegenüber dem/der Jugendlichen geschehen. Es ist auch vorstellbar – sofern der/die Konfirmand*in dazu bereit ist –, das Gespräch gemeinsam zu führen. Das hängt auch sehr von Ihrer Einschätzung der Familiensituation ab. Im Kontakt mit den Eltern sollte nicht der Eindruck entstehen, dass Sie ihnen Vorwürfe oder sie für die Situation verantwortlich machen. Machen Sie Ihre Sorgen und Beobachtungen verstehbar, unter Umständen werden die Eltern dadurch entlastet sein, dass sie mit ihren Beobachtungen nicht allein sind. Ermutigen Sie die Eltern dazu, zu den weiter unten genannten Anlaufstellen Kontakt aufzunehmen, und bieten Sie ihnen an, dass sie Sie über die weiteren Schritte informieren dürfen. Machen Sie aber auch die Dringlichkeit Ihrer Beobachtungen deutlich.
Eigene Supervision
Essstörungen in Gruppen von Jugendlichen können eine eigene Dynamik entfalten und für viel Unruhe sorgen. Dies kann für die Leitenden eine ziemliche Herausforderung sein: Sie müssen einerseits den/die betroffene*n Jugendliche*n im Blick behalten und notwendige Schritte unternehmen und dürfen gleichzeitig nicht die Gruppe als Ganzes aus dem Blick verlieren. Zögern Sie nicht, sich selbst durch Supervision unterstützen zu lassen, um Ihre Rolle und Ihr Handeln mit etwas Distanz reflektieren zu können und handlungsfähig zu bleiben oder wieder handlungsfähig zu werden.
Anlaufstellen und professionelle Hilfe
Abgesehen davon, dass Sie im akuten Notfall nicht zögern sollten, den Notarzt zu kontaktieren, können Sie Jugendlichen und Eltern folgende Anlaufstellen empfehlen. Bei Essstörungen ist immer die medizinische und psychologische Seite gleichzeitig im Blick zu behalten.
- Hausarzt / Hausärztin: Es ist immer zu empfehlen, mit dem Hausarzt/der Hausärztin das Gespräch zu suchen. Diese*r kann auch eine medizinische Risikoabschätzung über Gewicht (BMI-Bestimmung), Blutbild (möglicher Nährstoffmangel) und EKG (kardiologische Auswirkungen der Essstörung) vornehmen und so entscheiden, ob eine ambulante psychotherapeutische und medizinische Unterstützung ausreicht oder eine stationäre Behandlung indiziert ist. Der Hausarzt kann dann auch die notwendigen Überweisungen an spezialisierte Fachkräfte ausstellen.
- Ambulanzen der Psychosomatischen Kliniken: In den Ambulanzen Psychosomatischer Kliniken kann ebenfalls eine psychologische und medizinische Diagnostik durchgeführt werden. Unter Umständen wird dies der Hausarzt auch empfehlen.
- Psychologische Beratungsstellen: Die Psychologischen Beratungsstellen vor Ort beraten niedrigschwellig und zeitnah sowohl Jugendliche als auch Eltern. Auch eine Arbeit mit dem gesamten Familiensystem ist möglich. Im Rahmen eines Erstgesprächs kann entschieden werden, welche weiteren Schritte erforderlich sind. Eine Übersicht über die von der Landeskirche getragenen Psychologischen Beratungsstellen findet sich hier: https://www.psych-beratungsstelle-landesstelle.de/psychologische-beratung-in-wuerttemberg (Bereich Ev. Landeskirche in Württemberg) bzw. hier: https://www.ekiba.de/infothek/arbeitsfelder-von-a-z/seelsorge-beratung/psychologische-beratung-2/angebote-beratung/ (Bereich Ev. Landeskirche in Baden). Neben den Beratungsstellen gibt es auch Anlauf- und Fachstellen, die speziell auf Essstörungen spezialisiert sind. Ein Beispiel hierfür wäre ABAS Stuttgart. Man kann jeweils schauen, ob es solche Angebote auch direkt vor Ort gibt.
- Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen: Natürlich ist es auch möglich, direkt bei Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen einen Termin zu vereinbaren. In den meisten Fällen ist hier jedoch von längeren Wartezeiten auszugehen. Das ist für den Beginn einer langfristigen Psychotherapie weniger problematisch. Wenn allerdings akute Sorge und akuter Handlungsbedarf besteht, sind Wartezeiten zu vermeiden.
- Ernährungsberatung: Ernährungsberater*innen können dabei helfen, gesunde Ernährungsgewohnheiten zu entwickeln und unterstützen Personen mit Essstörungen bei der Verbesserung ihres Verhältnisses zum Essen und zu ihrem Körper.
- Spezialisierte Kliniken für Essstörungen: Für die stationäre Behandlung stehen spezialisierte Kliniken zur Verfügung, in denen multidisziplinäre Teams eine umfassende Behandlung anbieten.
- Selbsthilfegruppen: Es gibt verschiedene Selbsthilfegruppen, die von Menschen mit Essstörungen oder deren Angehörigen geleitet werden. Der Erfahrungsaustausch und die Unterstützung in einer solchen Gruppe kann vor allem für Eltern und Angehörige sehr hilfreich sein, um besser mit der Situation umzugehen.
Essstörungen stellen ernsthafte Gesundheitsprobleme dar. Aber sie sind behandelbar. Und je früher die Unterstützung erfolgt, desto besser sind die Chancen, dass eine Genesung eintreten und die Chronifizierung der Symptome verhindert werden kann. Ihre Aufmerksamkeit und Unterstützung können den Unterschied im Leben eines jungen Menschen ausmachen, der möglicherweise mit einer Essstörung kämpft.