Befähigung für aktive Zukunftsgestaltung

Zukunft als Thema von Bildung

Was bedeutet es, wenn wir im Kontext von (religionspädagogischer) Bildung über Zukunft reden? Anne-Kathrin Holfelder fragt in ihrem Beitrag danach, was wir benötigen, um unsere Zukunft aktiv zu gestalten. Was denken Jugendliche? Welche Methoden können zielführend sein?

Von Anne-Katrin Holfelder

Bild: Markus Spiske/unsplash.com

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Nüchtern betrachtet meint Zukunft eine Zeit, die der Gegenwart folgt. Doch hätte Zukunft nur diese rein zeitliche Dimension, dann wäre das Beitragsthema zu diesem „anKnüpfen“-Schwerpunkt wohl fehlplatziert. Das Besondere am Konstrukt Zukunft ist nicht nur, dass sie unmittelbar mit der Gegenwart verbunden ist, sondern auch, dass Zukunft die Grundlage von Bildungsbemühungen darstellt.

Wie Zukunft real verläuft, ist auch davon abhängig, welche Entscheidungen in der Gegenwart getroffen werden. Adam und Groves sprechen hier von „presents for the future“, also gegenwärtigen Entwicklungen, die den Verlauf der Zukunft mitbestimmen.[1] Denken wir zum Beispiel an den Klimawandel, so gehen wir davon aus, dass heutige Bemühungen der CO2-Reduktion einen Einfluss auf das zukünftige Klima haben und damit auch auf das Leben von zukünftigen Generationen. Solche Aussagen sind von wissenschaftlichem Wissen und Prognosen abhängig. Daneben treffen wir heute aber auch Entscheidungen, bei denen unklar ist, wie sie die Zukunft beeinflussen werden. Dies kann ebenfalls am Thema Klimawandel verdeutlicht werden: Dass Menschen den Klimawandel mit zu verantworten haben, wurde erst stark zeitversetzt erforscht, lange nachdem bereits erhebliche Mengen an CO2 in die Luft abgesetzt wurden.

Zukunft ist gestaltbar, denn unsere Entscheidungen heute beeinflussen – ob wissend oder unwissend –, wie die Zukunft verläuft. Das mag trivial klingen, jedoch ist dies nicht immer der Fall gewesen: Lange Zeit gingen Menschen davon aus, dass zukünftige Zeit nicht gestaltbar, sondern vorbestimmt ist oder der Gegenwart gleicht. Erst seit der Moderne sehen sich Menschen als Gestalter*innen ihrer eigenen Zukunft. Genau dies stellte auch die Voraussetzung für ein modernes Bildungsverständnis dar: Erst dadurch, dass Zukunft aktiv mitgestaltet werden kann und damit veränderbar ist, sind Bildungsbemühungen sinnvoll, die auf aktives Mitgestalten der eigenen und der gesellschaftlichen Zukunft abzielen. Gerade in jüngster Zeit wird durch das Bildungskonzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ verstärkt auf zukunftsgerichtetes, vernetztes und interdisziplinäres Denken und Handeln gesetzt, das zum Ziel hat, Menschen dazu zu befähigen, aktiv an einer nachhaltigen Entwicklung teilzuhaben.[2]

Zukunft hat neben dieser zeitlichen Komponente auch die Funktion einer Projektionsfläche für Hoffnungen und Visionen, aber auch für Ängste. Solche „futures for the present“[3] können uns zum Handeln motivieren, z. B. dann, wenn ich mir in Gedanken ausmale, dass ich vom Gehalt des ersten Ferienjobs in Urlaub fahren möchte. Wir versetzen uns selbst in eine zukünftige Situation, die in uns Freude auslöst, oder wir befürchten eine bestimmte Situation so sehr, dass wir im Jetzt alles tun würden, um dies zu vermeiden. Auf gesellschaftlicher Ebene können Visionen oder konkrete Utopien[4] für ein besseres Zusammenleben entworfen werden, die wegweisend für unser Handeln im Jetzt sein können. Zukunft kann also letztendlich auch als ein Symbol für etwas Besseres, für Gestaltbarkeit und Offenheit verstanden werden.[5] Gerade bei pädagogischen Bemühungen geht es darum, Menschen dazu zu befähigen, aktiv an der Zukunftsgestaltung mitzuwirken, um auf individueller und gesellschaftlicher Ebene eine bessere Zukunft zu schaffen. In Anbetracht der klimawissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte müssen wir an dieser Stelle eher als Bildungsziel formulieren, die bestmögliche Zukunft in Anbetracht der negativen Prognosen zu schaffen.

Was brauchen wir, damit wir aktiv unsere eigene und die gesellschaftliche Zukunft mitgestalten?

Hier bieten unterschiedliche Forschungsperspektiven unterschiedliche Erklärungen. Im Folgenden möchte ich einen kleinen Ausschnitt davon aufzeigen:

  • Menschen brauchen zunächst einmal Wissen und bestimmte Kompetenzen, um zukunftsgerichtet denken und handeln können. Darunter fällt z. B. die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erfassen und zukunftsgerichtet Entwicklungen abschätzen zu können. Weiter brauchen wir Reflexionsvermögen, um über das eigene Handeln nachdenken zu können. Das eigene Handeln und die eigene Erfahrung in einen Kontext zu stellen und zu reflektieren, inwieweit dies andere (im Hier und Jetzt, aber auch in Zukunft und an anderen Orten) beeinflusst, ist essenziell, um eigenes Handeln zu planen und zu verändern.

  • Auch die grundsätzliche Bereitschaft und Motivation, überhaupt etwas (auch für andere) verändern zu wollen, sind notwendig. Für das eigene Leben mag diese Motivation vielleicht einfacher sein, denn wir sind direkt betroffen und erleben im Idealfall die Auswirkungen des eigenen Handelns. Sich für andere einzusetzen, die wie im Fall des Klimawandels teils noch nicht geboren sind, scheint mit mehr Hürden verbunden zu sein, da nicht erfahrbar ist, ob das eigene Handeln zu besseren Lebensbedingungen für zukünftige Menschen beigetragen hat. Unsere ethische Praxis war jahrhundertelang doch eher auf bereits Lebende ausgerichtet und der Anspruch, auch gegenüber ungeborenen zukünftigen Generationen ethisch zu handeln, birgt einige Herausforderungen (Wie viele Generationen müssen beachtet werden? Wie gehen wir damit um, dass wir immer zu wenig Wissen über die Zukunft haben werden?). Ähnlich verhält es sich in unserem demokratischen System, in dem in der Regel nur die bereits Lebenden bzw. Wahlberechtigten ihre Interessen vertreten können, heranwachsende oder zukünftige Generationen dagegen nicht.

  • Nicht zu vergessen ist, dass Menschen auch Kapazitäten für zukunftsgerichtetes Denken und Handeln brauchen. In bestimmten Lebenskonstellationen, in denen die Gegenwart oder die nahe Zukunft bereits bedroht zu sein scheint (z. B. dann, wenn jemand dringend eine Arbeit oder eine Wohnung braucht), fällt es schwer, noch die Zukunft mitzudenken.[6]

  • Des Weiteren müssen Menschen auch davon ausgehen, dass sie überhaupt etwas in der Welt bewirken können. Wenn sie nicht wahrnehmen, dass ihr eigenes Handeln einen Einfluss auf die eigene oder/und gesellschaftliche Zukunft hat, dann ist es verständlich, dass dem eigenen Handeln kein großer Stellenwert beigemessen wird. Auch dies lässt sich am Beispiel Klimawandel gut zeigen: Selbst wenn ich motiviert bin, etwas für das Wohl der Menschen woanders und in Zukunft zu tun, so werde ich keine direkte Rückmeldung erhalten, dass mein Handeln auch etwas bewirkt hat. Ich muss nicht nur mit dieser Ungewissheit umgehen können, sondern auch mit dem Frust, dass ich keine direkte Auswirkung miterleben werde – anders, als wenn ich beispielsweise älteren Menschen unmittelbar helfe. Versuche haben gezeigt, dass zumindest direkte Rückmeldungen zu kurzfristigen persönlichen Erfolgen, z. B. wie viel CO2 ich durch meine Verhaltensänderung einspare, motivieren können.[7]

  • Seit einiger Zeit wird auch diskutiert, dass es auf gesellschaftlicher Ebene an Visionen für eine nachhaltige Gesellschaft fehle. Auch dies wird dafür mitverantwortlich gemacht, dass die Hoffnung auf eine bessere Welt und die Motivation, sich dafür einzusetzen, nicht so groß sind, wie es notwendig wäre.

Was denken Jugendliche über Zukunft?

Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst zwischen persönlicher und gesellschaftlicher Zukunft unterschieden werden. In Bezug auf die Gestaltbarkeit der eigenen Zukunft gibt es sehr unterschiedliche Befunde, die von der Lebenssituation der Jugendlichen abhängen: Gerade Jugendliche aus bildungsprivilegierten Milieus sehen ihre persönliche Zukunft als gestaltbar.[8] Jugendliche dagegen, die eher prekär leben, sehen ihre eigene Zukunft weniger als gestaltbar. In Bezug auf die Zukunft der Welt ist bei Jugendlichen schon seit Jahren ein steigendes Bewusstsein für Umwelt- und Nachhaltigkeitsprobleme festzustellen.[9] Im Kontrast dazu ist die Hoffnung, dass man durch eigenes Handeln daran etwas ändern kann, doch eher gering. Gesellschaftliche Zukunft scheint etwas zu sein, was nicht wirklich durch eigenes Handeln beeinflusst werden kann – etwas, was sogar bereits (vor)geschrieben und daher unveränderbar ist. Eckersley bemängelt, dass Kinder und Jugendliche vor allem in „wahrscheinlichen“ und „erwartbaren Zukünften“ denken.[10] Sie beziehen sich also vor allem darauf, wie Zukunft über Prognosen vorhergesagt wird, und weniger darauf, was eigentlich wünschenswert ist. Zwar werden „wünschenswerte Zukünfte“ diskutiert, jedoch als Utopie bezeichnet und damit als unrealistisch eingestuft. In Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen werden eine reale und eine ideale Welt unterschieden: In der idealen Welt spielen ethische Motive eine Rolle, Veränderung scheint möglich; in der realen Welt dagegen sind Menschen egoistisch und es wird sich nichts nachhaltig ändern.[11] Wünschenswert wäre, dass man sich in Bildungsbemühungen stärker auf Fragen konzentriert, wie wir es schaffen, dass auch „mögliche Zukünfte“ – als Bindeglied zwischen wünschenswerten und wahrscheinlichen Zukünften – stärker in den Blick genommen werden.

Methoden für die pädagogische Arbeit

In der pädagogischen Arbeit sind vor allem zwei Methoden für die konkrete Bearbeitung von Zukunft zu nennen. Die eine ist die Szenariotechnik, die andere die Zukunftswerkstatt.[12]

  • Bei der Szenariotechnik geht es darum, die Bedeutung von Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen in Bezug auf eine konkrete Entwicklung sichtbar zu machen und abzuschätzen. Soll zum Beispiel die Zukunft des ÖPNV bearbeitet werden, müssen zunächst derzeitige Einflussfaktoren mit ihrem konkreten Einfluss erarbeitet werden. Dies ist eine Methode, die zunächst stark auf die Beschäftigung mit Informationen setzt. Sind dann alle notwendigen Inhalte zusammengetragen, geht es darum, unterschiedliche Szenarien zu entwickeln: Wie könnte der ÖPNV in 10 Jahren aussehen, wenn bestimmte Einflussgrößen verändert werden? Was wäre das negativste, was das positivste Szenario? Szenariotechniken können zur reinen Wissens- und Kompetenzvermittlung eingesetzt werden, aber auch zur Gestaltung, z. B. dann, wenn Bürger*innen den lokalen ÖPNV mitgestalten sollen. Eine etwas interaktivere Methode, die ähnliche Absichten verfolgen kann, ist das Planspiel. Hier nehmen die Teilnehmer*innen konkrete Rollen an, in denen sie miteinander interagieren. In der Regel wird hier aber keine so starke Bandbreite unterschiedlicher Szenarien abgedeckt.

  • Deutlich stärker von Fantasie geprägt ist die Zukunftswerkstatt. Hier geht es darum, gemeinsame Visionen zu entwickeln, Fantasie ist ausdrücklich erwünscht. Die Methode gliedert sich in eine Kritik-, eine Fantasie- und eine Realisierungsphase, welche meist auch in dieser Abfolge vollzogen werden: Nach einer Bestandsaufnahme, was gerade schlecht ist und warum (Kritikphase), werden Visionen entwickelt (Fantasiephase). In der dritten Phase wird danach gefragt, was von den entwickelten Visionen realisierbar erscheint und welche konkreten Schritte dazu notwendig sind. Empfehlenswert ist hier, nach einer gewissen Zeit, in der die konkreten Schritte schon eingeleitet wurden, noch eine vierte Phase einzubauen, in der die vollzogenen Schritte evaluiert und evtl. neu bestimmt werden. Zukunftswerkstätten benötigen in ihrer Durchführung viel Zeit (i. d. R. mindestens einen halben Tag bis zu mehreren Tagen). Um nicht Gefahr zu laufen, dass einzig das wahrscheinlich Eintretende als realisierbar angenommen wird, kann es sinnvoll sein, die Fantasiephase als erste Phase zu planen (z. B. die Frage: „In welcher Welt wollen wir in Zukunft leben?“) und erst danach zu fragen, was uns im Jetzt eigentlich daran hindert, so zu leben.

  • Die Methoden sind nicht unbedingt immer trennscharf. Eine Methode, die die beiden Ansätze verbindet, ist die Zukunftskonferenz.[13] Hier geht es sowohl um die Bearbeitung konkreter Einflussfaktoren für einen Bereich als auch um das Entwickeln von wünschenswerten und realisierbaren Zukünften mit der Planung konkreter Maßnahmen.

Insgesamt soll nicht vergessen werden, dass der Gegenwartsbezug eng mit dem Verständnis von Zukunft zusammenhängt: Begreift man sich nicht im Hier und Jetzt als handlungswirksam, dann wird dies auch nicht in Bezug auf die Zukunft der Fall sein. Insofern muss es in erster Linie darum gehen, Handlungswirksamkeit zu fördern, was für eine Demokratie sowieso unerlässlich ist. Dabei gilt es, Projekte so zu konzeptionieren, dass echte Handlungswirksamkeit erfahren werden kann. So erscheint es deutlich sinnvoller, sich konkrete Ziele vor Ort zu setzen (z. B. klimafreundlicheres Essen in der Schulmensa), anstatt zu weit gefasste und womöglich überfordernde Ziele zu bearbeiten (z. B. Klimaschutz). Ideal wäre es, wenn die Umsetzung einer Maßnahme mit einer direkten Rückmeldung der CO2-Ersparnis einhergehen würde.


Es sollten, wenn möglich, auch Projekte in Gruppen geplant werden. Wenn klimafreundliches Handeln noch immer eher als die Ausnahme betrachtet wird, dann erscheint es gewinnbringender, als Gruppe gemeinsam zu handeln, um etwas zu erreichen. Viele Personen können Strukturen und Rahmenbedingungen einfacher angehen und verändern als eine Einzelperson. Zudem ist dann das nachhaltigere Handeln keine Ausnahme mehr, sondern in Bezug auf die Gruppe die Regel. Gemeinsame Erlebnisse verbinden und schulen nebenbei noch Konflikt- und Diskursfähigkeit.


[1] Adam, B. & Groves, C. (2007): Future Matters, Leiden/Boston: Brill.
[2] z. B. Haan, G. de (2008): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung, in: I. Bormann & G. de Haan (Hrsg.): Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung, Messung, Rahmenbedingungen, Befunde(S. 23–44), Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
[3] Adam, B. & Groves, C. (2007): Future Matters, Leiden/Boston: Brill.
[4] Bloch, E. (1985): Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
[5] Milojević, I. (2005): Educational Futures, Abingdon-on-Thames: Routledge.
[6] Bourdieu, P. (1987): Die feinen Unterschiede, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
[7] Homburg, A. & Lange, F. (2020): Klimaschonendes Verhalten fördern – Beiträge der Umweltpsychologie, https://cdn.website-start.de/proxy/apps/a1tvb2/uploads/gleichzwei/instances/1A634E95-A3AB-4A43-9122-5F5FB2876ACF/wcinstances/epaper/2f8945d9-7d47-47af-8903-f12bcc4c2e88/pdf/klimaschonendesVerhaltenf%C3%B6rdern_29_10_2020.pdf [letzter Zugriff am 11.02.2023].
[8] Holfelder, A.-K. (2018): Orientierungen von Jugendlichen zu Nachhaltigkeitsthemen, Wiesbaden: Springer VS.
[9] Kress, D. (2021): Greenpeace Nachhaltigkeitsbarometer 2021, https://www.greenpeace.de/publikationen/20220513_GP_Nachhaltigkeitsbarometer_0.pdf [letzter Zugriff am 11.02.2023].
[10] Eckersley, R. (2002): Future visions, social realities, and private lives: Young people and their personal well-being, in: J. Gidley & S. Inayatullah (Hrsg.): Youth futures. Comparative research and transformative visions (S. 31-41), Westport: Praeger.
[11] Zeyer, A. & Roth, W.-M. (2011): Post-ecological discourse in the making, in: Public Understanding Science 22(1), S. 33–48.
[12] Siebert, H. (2010): Methoden für die Bildungsarbeit, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag.
[13] Siebert, H. (2010): Methoden für die Bildungsarbeit. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag.